Pflegegrade Übersicht

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1. Was sind Pflegegrade?

Pflegegrade drücken aus, dass ein Mensch pflegebedürftig ist und im Alltag auf die eine oder andere Weise Hilfe benötigt. Dabei wird der Mensch als komplettes Individuum betrachtet. Es werden also nicht nur körperliche Einschränkungen berücksichtigt, sondern auch geistige und psychische.

Einen Pflegegrad erhalten daher nach ausführlicher Prüfung all jene, deren Selbstständigkeit und verschiedene Fähigkeiten im Alltag mindestens sechs Monate so eingeschränkt sind, dass sie auch langfristig nicht mehr ausgeglichen werden können. Dabei gilt:

Je geringer die Selbstständigkeit im Alltag, und desto eingeschränkter die Fähigkeiten desto höher fällt der Pflegegrad aus.

Ein Beispiel:

Witwe Erna S. (68) ist eine eigentlich noch ganz rüstige Rentnerin. Sie kann sich noch selbst waschen und pflegen, geistig ist sie voll fit und auch die Wohnung hält sie weitestgehend eigenständig in Schuss. Allerdings:

  • fällt es ihr seit fast 8 Monaten immer schwerer, ihren alten, schweren Staubsauger aus der Kammer zu wuchten und damit dann auch noch ihre 60 m2 Wohnung komplett zu saugen. Immer häufiger verzichtet sie daher auf das Staubsaugen.
  • schiebt sie das Fensterputzen außerdem nunmehr seit einem halben Jahr immer weiter vor sich her, denn manchmal ist sie ein bisschen wackelig auf den Beinen und Leitern sind ihr ein Graus.
  • hat daher auch die Nachbarin Frau W. die Treppenhausreinigung im Flur, für die Erna S. eigentlich alle zwei Wochen zuständig ist, komplett übernommen.
  • Gern würde Erna der Nachbarin für ihre regelmäßige Hilfe einen kleinen Obolus geben, aber ihre Rente reicht dafür nicht aus.
  • macht Erna aufgrund ihrer Wackeligkeit auch keine großen Einkäufe im Supermarkt mehr. Sie besorgt sich immer nur ein paar Teile, denn außerhalb der Wohnung nimmt sie zur Stabilisierung ihren Stock mit und hat so nur eine Hand frei, um damit eine Tasche zu tragen.
  • Ihre Tochter Susi kommt zwar manchmal und hilft ihr, aber sie ist als berufstätige, alleinerziehende Mutter von achtjährigen Zwillingen auch sehr eingespannt.
  • Beide wünschen sich für “Oma Erna” ein bisschen (finanzielle) Unterstützung in Alltagsdingen, denn ein Seniorenheim kommt für die alte Dame nicht infrage. Sie möchte gern in ihrer schnuckeligen Wohnung bleiben, auch wenn sich ihre Situation wohl nicht mehr bessert und sie dauerhaft auf Hilfe angewiesen sein wird. Nachbarin Frau W. würde die zusätzliche Hilfe (neben dem Treppenputzen) gern leisten.

Beim nächsten Kaffeekränzchen erzählt “Oma Erna” ihren Freundinnen Käthe (70) und Hannelore (72) von ihrem Dilemma. Diese schlagen ihr vor, doch einfach mal einen Pflegegrad bei ihrer Pflegekasse zu beantragen. Das hätten ihre Kinder für sie auch gemacht und beide Anträge seien nach einer Prüfung durch den Medizinischen Dienst bzw. bei Käthe als Privatversicherte durch Medicproof, genehmigt worden.

Je nach Einstufung in Pflegegrad 1 - 5 würde sie nach der Bewilligung des Antrags ebenfalls Hilfestellungen in Form von Geld- und Sachleistungen erhalten. Dabei hätte sie einen Mindestanspruch auf:

  • Einen Entlastungsbetrag von 215,00€, zum Beispiel um ihrer Nachbarin Frau W. für die Reinigung der Treppe oder die Erledigung von größeren Einkäufen einen Obolus zu geben
  • Jeden Monat Pflegehilfsmittel im Wert von 40,00€ (Desinfektionsmittel, Handschuhe, Mund-Nasenschutz etc.)
  • eine Einmalpauschale von 4000,00€ zum seniorengerechten Umbau ihrer Wohnung
  • Einen Zuschuss zum Hausnotruf, den sie auf Wunsch ihrer Tochter Susi gern installieren lassen würde
  • Zuschuss für die Gründung einer Wohngruppe, falls sie sich entscheiden würde, mit Käthe und Hannelore eine “Pflege-WG” zu gründen.
  • 2x im Jahr kostenlose Pflegeberatung

Ab Pflegegrad 2 kämen sogar noch weitere Leistungen, vor allem finanzieller Art, hinzu. Dabei gilt: Je höher der Pflegegrad, desto höher größtenteils auch die finanziellen Zuschüsse. Dies gilt besonders beim Pflegegeld, den Pflegesachleistungen und dem Zuschuss bei vollstationärer Pflege.

“Oma Erna” ist begeistert von dem Vorschlag, ist sich aber nicht sicher, ob sie nicht noch “zu fit” ist und informiert sich mit Susis Hilfe im Internet, denn es sind noch so viele Fragen offen. Zum Beispiel: 

2. Wer hat Anspruch auf einen Pflegegrad?

Anspruch auf einen Pflegegrad hat, wer per Gesetz als "pflegebedürftig" eingestuft wird. Pflegebedürftig können alle Menschen sein, deren Selbstständigkeit im Alltag über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten kontinuierlich eingeschränkt ist.

Die Beeinträchtigungen können körperlicher, geistiger und / oder psychischer Natur sein. Dabei spielt es erstmal keine Rolle, wie alt die pflegebedürftige Person ist. Auch Kinder können einen Anspruch auf einen Pflegegrad haben.

3. Wonach richten sich die Pflegegrade?

Pflegegrade richten sich nach dem tatsächlichen Grad der Selbstständigkeit in 6 verschiedenen Bereichen des Lebens. Der Medizinische Dienst nennt sie Module M1 - M6). 

  • (M1) Mobilität und Beweglichkeit (gehen, aber auch wenden im Bett, eigenständiges Aufsetzen)
  • (M2) Kognitive und kommunikative Fähigkeiten (reden und verstehen)
  • (M3) Verhaltensweisen und psychische Problemlagen (agressives Verhalten, zielloses, verwirrtes hin-und herlaufen)
  • (M4) Selbstversorgung (waschen, duschen, essen, trinken, Nutzung der Toilette)
  • (M5) Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen und Belastungen, sowie deren Bewältigungen (eigenständige, regelmäßige Einnahme von Tabletten, allgemein Umsetzung von ärztlichen Anweisungen
  • (M6) Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte (Kontakt zu Freundinnen und Freunden pflegen, telefonieren, das Haus verlassen und zum Beispiel zum Kaffeekränzchen zu gehen)

Ein wichtige Rolle spielt ebenso das Punktesystem.

4. Was sind die 6 relevanten Module und das Punktesystem?

Die sechs Module zeigen, wie bei der Bewertung gewichtet wird. Dabei fällt auf, dass die Möglichkeit zur Selbstversorgung mit 40% die mit Abstand höchste Gewichtung hat. Unter die Selbstversorgung fallen zum Beispiel Körperpflege / Hygiene oder auch der Bereich Ernährung, also beispielsweise die selbstständige Zubereitung einer Mahlzeit. Insgesamt gibt es aber 13 Kriterien.

Wichtig auch: Von M2 (geistige und kommunikative Fähigkeiten) und M3 (Verhaltensweisen und psychische Problemlagen) fließt nur der höhere Punktwert in die Bewertung ein. In M2 werden insgesamt 11 unterschiedliche Kriterien betrachtet, in M3, 13 Kriterien.

Zwei weitere Module, die Außerhäuslichen Aktivitäten (M7) und der Bereich Haushaltsführung (M8), fließen nicht in die Bewertung ein.

6 Module, die bei der Beurteilung für einen Pflegegrad wichtig sind und deren Gewichtung

In Punktevergabe fließen Kriterien wie die zu erwartende Pflegeintensität, sowie die Häufigkeit der notwendigen Unterstützung mit ein. Vor allem bei der Einstufung in Pflegegrad 5 wird aber nicht nur stur nach Punkten gegangen, sondern auch hoch spezielle, individuelle Faktoren können eine Rolle spielen.

Übersicht Punktesystem Pflegegrade

5. Der Fragenkatalog

Alle Gutachterinnen und Gutachter haben sich bei der Beurteilung an einen bestimmten Fragenkatalog zu halten. Dieser umfasst ca. 64 Fragen, zum Beispiel zu Fähigkeiten, die auf die sechs Module aufgeteilt sind.

Bei Modul 1 lautet die Hauptfrage in etwa: “Wie selbstständig kann folgende Tätigkeit durchgeführt werden?”

Dann werden unterschiedliche Tätigkeiten aufgelistet, wie:

  • Positionswechsel im Bett (Zum Beispiel von der Rückenlage in die Seiten- oder Bauchlage)
  • Halten einer stabilen Sitzposition (auch ohne Rückenlehne)
  • Umsetzen (einschließlich aufstehen aus dem Sitzen)
  • Fortbewegung innerhalb eines Wohnbereiches (auch mit Hilfe eines Rollators oder Rollstuhls)
  • Treppensteigen

Nun erfolgt jeweils die Einstufung in:

  • selbstständig = keine fremde Hilfe notwendig (0 Punkte)
  • überwiegend selbstständig = etwas Hilfe notwendig, z. B. leicht stützen (1 Punkt)
  • überwiegend unselbstständig = überwiegend Hilfe notwendig z. B. bewusst Hilfestellung geben, durch anheben, oder komplett stützen (2 Punkte)
  • unselbstständig = komplett Hilfe notwendig (3 Punkte)

Je nach Einschätzung setzt der Gutachter / die Gutachterin im passenden Feld ein Häkchen. Am Ende jedes Moduls rechnet er oder sie die Punkte zusammen und ermittelt eine Gesamtpunktzahl, sagen wir mal, in Modul 1 sind es 4 - 5 Punkte. Diese werden nun gewichtet. Wie, das unterscheidet sich leicht von Modul zu Modul (siehe auch unser Tortendiagramm). Für Modul 1 entsprechen 4 - 5 Einzelpunkte, 5 gewichteten Punkten.

Nach diesem Schema wird in allen Modulen vorgegangen, bis man am Ende aus den 6 Modulen die Anzahl der gewichteten Punkte notiert hat, die zu einer Gesamtpunktzahl addiert werden. Nach der Gesamtpunktzahl erfolgt die Einstufung in den Pflegegrad.

Würde zum Beispiel die Gutachterin Frau Meier-Lohmar vom Medizinischen Dienst “Oma Erna” nach erfolgreich gestellten Antrag begutachten und nach am Ende der Begutachtung zum Beispiel 29 Gesamtpunkte ermitteln, würde sie der Pflegekasse die Einstufung in Pflegegrad 2 empfehlen.

6. Wo beantragt man den Pflegegrad?

Der Pflegegrad wird zunächst einmal bei der Pflegekasse beantragt. Die Beurteilung, ob einem ein Pflegegrad empfohlen wird, nimmt bei gesetzlich Versicherten der medizinische Dienst (MD) vor. Bei privat Versicherten ist es die MEDICPROOF GmbH. Beide Dienste kommen vor allem nach einem erstmaligen Antrag ins Haus und prüfen anhand von 5 (6) Modulen (Oberkategorien), ob ein Pflegegrad empfohlen wird. Die endgültige Entscheidung über die Genehmigung trifft jedoch die Pflegekasse.

Gut für “Oma Erna”: Über 80% der Anträge auf einen Pflegegrad werden bewilligt.

7. Wer darf einen Pflegegrad beantragen?

Nicht nur die pflegebedürftige Person, wie unsere “Oma Erna”, auch Angehörige (z.B. Tochter Susi), Freunde, Bekannte oder sogar Nachbarinnen, wie Frau W., und Nachbarn dürfen einen Pflegegrad für jemanden beantragen, wenn sie dazu bevollmächtigt sind.

Wichtig ist: egal wer den Pflegegrad beantragt, es empfiehlt sich sehr gut auf den Beurteilungs-Termin vorbereitet zu sein.

Bei der Vorbereitung hilft oftmals ein Pflegetagebuch, in das eingetragen wird, in welchen Situationen die Pflege konkret benötigt wird. Das gibt dem Gutachter oder der Gutachterin schon mal einen recht guten Eindruck über den aktuellen Zustand, zum Beispiel von unserer “Oma Erna”.

8. Ein kurzer Exkurs: Die ehemaligen Pflegestufen

Bevor sie im Januar 2017 von den 5 neuen Pflegegraden ersetzt wurden, gab es drei verschiedene Pflegestufen. Hier wurde die Einstufung hauptsächlich nach dem tatsächlichen zeitlichen Pflegeaufwand vorgenommen. Schrittweise wurden sie dann durch die 5 Pflegegrade ersetzt.

Als Grundlage dient das Zweite Pflegestärkungsgesetz, kurz PSG III, welches seit 2017 vollumfänglich gültig ist.

Aus Pflegestufen wurden Pfleggrade Grafik

*E.A. = Eingeschränkte Alltagskompetenz 

9. Fazit

Die Wahrscheinlichkeit einen Pflegegrad bewilligt zu bekommen, ist relativ groß wenn:

  • ihre Einschränkungen seit mehr als sechs Monaten bestehen und eine Besserung nicht absehbar ist.
  • Sie pflegebedürftig sind, noch in ihrer eigenen Wohnung leben und dort gepflegt werden sollen.
  • Eine nahestehende Person, zum Beispiel aus der Familie oder der Nachbarschaft die benötigte Pflege / Hilfe übernimmt.

Die Antragsstellung ist zuznächst einmal formlos möglich. Sollte man Schwierigkeiten haben, gibt es Hilfestellung durch die Pflegekassen und in Pflegestützpunkten. Dort erfährt man auch, wie man sich bestmöglich auf den Beurteilungstermin vorbereitet.

Einen Pflegegrad formlos beantragen

Quellen

Über Sabrina Sommer

Sabrina Sommer ist seit 2019 Mitarbeiterin der ARDMED. Mit ihrer langjährigen Erfahrung als Krankenpflegerin unterstützt sie uns redaktionell bei der Konzipierung und Erstellung von Fachtexten jeglicher Art. Ihr Schwerpunkt liegt bei der aufsaugenden und ableitenden Inkontinenz, aber auch mit den Produkten des Medizin- und Pflegebedarfs kennt sie sich bestens aus.



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